Berg der Klärung

Früher gab es Kampfdemonstrationen am 1. Mai mit bitter notwendigen Anliegen, dann verordnete Vorbeimärsche mit viel Pomp und Fahnenstoff. Heute schwärmen alle aus zu privaten Fahrten in die Natur oder anderen Vergnügungen. So auch wir. Schon länger stand der Helpter Berg, die höchste Erhebung in MV, auf dem Plan. Als Wegweiser weithin sichtbar der weiß-rote Sendemast über dem stattlichen Buchenwald der Hügelkette. Beim ‚Aufstieg’ finden sich kurvige Stöcke, die fehlendes Nordic-Walking-Gerät völlig vergessen machen. Die Sonne lässt das frische Frühlingslaub zart und transparent erscheinen. Die Lungen füllen sich mit Waldluft, fast, als rinne frisches Wasser durch die Kehle. Auf dem Gipfel sind wir die einzigen menschlichen Wesen, umgeben von grüner Natur. Vor dem geodätischen Markstein eine Bank mit Messingtafel an der Lehne, die mitteilt, dass diese beim 3. Gipfelgottesdienst zum Johannisfest 2009 durch die Kirchengemeinde Woldegk dort aufgestellt wurde. Ein schmiedeeisernes Kreuz steht auf dem Platz, im Kreuzungspunkt die Zahl 179, die Höhe in Metern über NN. Auf der Bank liegt ein Gipfelbuch für Gäste, die es ‚geschafft’ haben. Wir ruhen aus, schauen still in die grünen Gewölbe. Dann finden sich Worte, eine kleine Berg-Hymne:

 

1. Mai, 1. Mai,

ach, wären alle Menschen frei;

bis dahin aber ist’s noch weit,

ein riesig großes Menschheitswerk,

vorweg genommen doch zu zweit –

die Freiheit auf dem Helpter Berg,

die haben wir heute errungen,

drum sei Gott Lob gesungen.

 

Ein älteres Paar gesellt sich zu uns und wir erfahren Näheres über diesen Ort, als er militärisch abgesperrt war, danach einen Aussichtsturm hatte, dem Natur und menschliche Hand irgendwann den Garaus machten. Wir richten gemeinsam das mutwillig in Schieflage gebrachte Kreuz, reparieren notdürftig den Behälter für das Gipfelbuch, sprechen über die Lage an diesem Ort und anderswo. Dann wünschen wir uns gegenseitig den weiteren Tag schön. Am Fuße des Berges schauen wir auf das sonnenbeschienene gelbe Rapsfeld vor uns und noch einmal zurück auf den beschatteten, ansteigenden Weg: Kein Berg der Verklärung, aber einer der Klärung – das war er für uns heute ganz sicher.

Euer E.Erdmann
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